Die Strukturtheorie der Existenzanalyse

 

Die Eintrittspforte in die existenzanalytische Arbeit ist primär unsere Motivation. Geht es uns Menschen doch immer darum, dass es uns gut geht im Leben, welche Vorstellungen auch immer mit „gut“ gemeint sind. Motivierend kann für uns demnach nur etwas sein, das wir als positiv erleben und uns emotional berührt.

Motivation ist demnach untrennbar mit uns, unserem emotionalen Erleben sowie mit unseren Handlungen oder Unterlassungen verbunden. Verstehen wir diese Beweggründe, dann verstehen wir uns selbst ein Stück besser.

Dabei reicht es jedoch nicht als Begründung aus, dass wir motiviert waren dies oder jenes zu tun oder zu unterlassen, es bedarf noch des größeren Verständnisses, der Einordnung in einen größeren Zusammenhang.

Diesen größeren Zusammenhang hat Alfried Längle in seiner Weiterentwicklung der Existenzanalyse herausgearbeitet. Längle fand im Rahmen seiner Forschungen weitere existenzielle Motivationskräfte, die dem „Willen zum Sinn“ vorausgehen.

Diese Strebungen bezeichnete er als Grundmotivationen, also Motivationen, die in allen Motivationen enthalten sind und letztlich unsere Existenz begründen. Dabei hat jede Grundmotivation einen existenziellen Kern um den verschiedene Aspekte, Erscheinungsformen und Phänomene in unterschiedlicher Dichte und Intimität kreisen.

Diese Grundmotivationen (GM) erscheinen als Strebungen nach

 

1.    Halt und Sicherheit
2.    Beziehung und Freude
3.    Wertschätzung und Anerkennung
4.    Sinn und Perspektiven

 

 

Streben nach Halt und Sicherheit

Das Streben nach Halt und Sicherheit ist nur dann gesichert, wenn wir es schaffen, die Bedingungen zu akzeptieren, in denen wir stehen. Dies bedeutet, die für unser Dasein derzeit aktuell gültigen Bedingungen und Umstände als gegeben annehmen können und sie zum Ausgangspunkt für künftiges Handeln zu machen. Geschieht dies nicht, dann setzt eine psychodynamische Bewältigungsstrategie ein, die so genannten Copingreaktionen, die sich in dieser ersten Grundmotivation in Form von Flucht und Vermeidungsverhalten zeigen können. Diese Strategien entlasten uns kurzfristig und helfen uns psychisch zu Überleben. Eine durchtragende Lösung ist dies jedoch nicht, weil Copingreaktionen auf Dauer Kraft und Lebensqualität kosten.

 

Streben nach Beziehung und Freude

Wenn die Tatsachen von uns akzeptiert sind, begeben wir uns in die zweite Dimension menschlicher Existenz. Wir stehen vor der Frage was „gut“ für uns bedeutet, was in uns Freude erleben lässt. Gut ist es für uns dann, wenn wir das verwirklichen, was uns wichtig ist. Dieses Verwirklichen von Werten berührt uns emotional und bringt unsere Verbundenheit mit Menschen, einer Idee oder einer Sache zum Ausdruck. Schauen wir genauer auf diese emotionale Berührung entdecken wir, dass die Qualitäten Nähe, Zeit und Beziehung zentrale Größen sind. Dies wird am besten deutlich, wenn wir uns vorstellen, wie rasch die Zeit vergeht, wenn wir uns einer Aufgabe zuwenden die wir wirklich gerne machen. Dieses emotionale Erleben zeigt sich überall dort, wo wir in einer innigen Beziehung stehen, ganz gleich ob es sich um ein Projekt, ein Arbeitsgebiet oder eine Arbeitsbeziehung handelt. Werte haben so gesehen eine enorme Präsenzkraft und damit eine zentrale Bedeutung für unser Leben. Je bedeutsamer also ein Wert für unser Leben ist, umso emotionaler ist er in unserem Erleben verankert. Emotionen sind daher wichtige Wegweiser in der Psychotherapie, der Beratung und auch im Coaching.

 

Das Streben nach Wertschätzung und Anerkennung

In der dritten existenziellen Strebung betreten wir die Ebene der Individualität und Autonomie. Es ist ein tiefes Bedürfnis des Menschen mit sich und seinem Handeln in innerer Übereinstimmung zu stehen. Hieraus ergeben sich eine Reihe von Themen, die mit unserem Selbst-Sein, unserem Selbstwert und der Abgrenzung des Eigenen verknüpft sind. Der Mensch steht als Individuum nicht nur alleine da, sondern steht in der Auseinandersetzung mit der Gemeinschaft. In dieser möchte er unverwechselbar anerkannt, angenommen und wertgeschätzt werden. Echte Wertschätzung und Anerkennung ist Seelenbalsam und stärkt uns. Dabei geht es nicht nur um eine Einbahnstraße der Wertschätzung und Anerkennung. Wir brauchen auch uns dafür, damit es zu einer echten Balance kommt. Wir brauchen auch die Fähigkeit uns selbst anzunehmen und zu uns zu stehen.

 

Das Streben nach Sinn und Perspektiven

Für ein erfülltes Leben genügt es nicht nur Halt zu haben, mit seinen Werten in Beziehung zu stehen und zu sich selbst stehen zu können. Unser Leben und Wirken steht immer auch in größeren Bezügen. Für eine sinnvolle Gestaltung unseres Lebens sind diese Bezüge mit zu berücksichtigen. Damit dies gelingt brauchen wir ein Tätigkeitsfeld, einen Strukturzusammenhang und einen Wert in der Zukunft, an dem wir uns ausrichten.

 

Alles in Allem

Gelingt es uns in unserem Leben

 

  • auf der Basis der aktuell gültigen Realität unser Eigenes zu finden,
  • das zu bergen was uns berührt,
  • uns anzunehmen, wie wir sind,
  • und Entscheidungen zu treffen die für uns sinnvoll sind,


dann können wir durchaus sagen, dass wir unser Leben gut und erfüllt meistern können.